Skip Norman †

Skip Norman †
1966
Skip
Norman †
Prof. Dr. Wilbert Reuben Norman, Jr. (genannt Skip Norman) wird am 22. Dezember 1933 in Baltimore (Maryland/USA) geboren. Er studiert zunächst Germanistik und Medizin in Washington und Göttingen.

1966 wird Skip Norman an der neu gegründeten Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) angenommen.
Er studiert im ersten Jahrgang und ist unter anderem beteiligt an Produktionen von Holger Meins, Helke Sander, Thomas Giefer, Gerd Conradt und Harun Farocki. In seinen eigenen dffb-Filmen beschäftigt ihn meist das Thema des Freiheitskampfes der Afroamerikaner. Sein Film BLUES PEOPLE (1969) über den Zusammenhang zwischen Rassismus und sexueller Unterdrückung der Frau wird 1969 bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen hochgelobt. Im gleichen Jahr erwirbt er mit STRANGE FRUIT (1969) sein Abschlussdiplom an der dffb.

Von 1969 bis 1974 arbeitet Norman als Dokumentarfilmer in Deutschland und ist von 1974 bis 1975 sowie erneut 1988 als Dozent an der dffb tätig. 1975 kehrt Norman in die USA zurück und macht 1976 an der Ohio State University in Columbus einen Bachelor-Abschluss in Germanistik und 1979 einen Master in Filmwissenschaft. Hier erlangt er 1984 auch seinen Doktortitel in Sozial- und Geisteswissenschaft. Ein Fulbright-Stipendium lässt ihn für den Zeitraum von 1987 bis 1988 zurück nach Deutschland kehren. Anschließend arbeitet er freiberuflich als Regisseur, Kameramann und Fotograf in den Vereinigten Staaten. Von 1996 an forscht er auf dem Feld der Visuellen Ethnographie und ist Mitglied am Forschungszentrum für Kulturerbe (DAKMAR) an der Eastern Mediterranean University (EMU) auf Zypern.

Am 18. März 2015 stirbt Skip Norman in Washington D.C.
REGIE:
1971: Blackman's Volunteer Army of Liberation
1971: Washington D.C. November 1970
1969: Strange Fruit
1969: Blues Peopler
1968: Cultural Nationalism


DREHBUCH:
1969: Blues Peopler (Regie: Skip Norman)


KAMERA:
1998: 1000 Miles from Nowhere (Regie: Igor Kovacevich)
1975: Glutmensch (Regie: Jonathan Briel)
1974: 1 Berlin-Harlem (Regie: Lothar Lambert)
1973: Kennen Sie Fernsehen? (Regie: Malte Ludin)
1971: Kohlen für die Naunynstraße (Regie: Horst Schwaab)
1969: Der Tod des Sokrates (Regie: Enzio Edschmid)
1969: Maulwürfe der Revolution (Regie: Horst Schwaab)
1968: Unsere Steine (Regie: Ulrich Knaudt)
1968: White Christmas (Regie: Harun Farocki)
1968: Ihre Zeitungen (Regie: Harun Farocki)
1968: Drei Schüsse auf Rudi (Regie: Harun Farocki)
1968: Brecht die Macht der Manipulateure (Regie: Helke Sander)


DARSTELLER:
1969: Blues People (Regie: Skip Norman)
1968: Johnson & Co. und der Feldzug gegen die Armut (Regie: Hartmut Bitomsky)
1967: Situationen (Regie: Johannes Beringer)
1967: Santa Lucia (Regie: Gerd Conradt u.a.)


MITARBEIT, DIV. FUNKTIONEN:
1971: Eine Prämie für Irene (Regie: Helke Sander)
1968: Die rote Fahne (Regie: Gerd Conradt)
1967: Subjektitüde (Regie: Helke Sander)
1967: Silvio (Regie: Helke Sander)
1966: Das Vöglein (Regie: Hartmut Bitomsky)
BLACK AND WHITE, UNITE! UNITE!

von Gerd Conradt

Dem Ehepaar Ida und Wilbert Norman wurde am 22. Dezember 1933 ihr erster Sohn, Wilbert Reuben, in Baltimore (Maryland/USA) geboren — später wird er sich Skip Norman nennen. Sie waren „Schwarze“. In Baltimore galt die Rassentrennung als besonders ausgeprägt. Während die „Weißen“ in die Vorstädte zogen, blieben die „Schwarzen“ in der Stadt zurück. Der Slang-Name der inzwischen heruntergekommenen Ostküsten–Stadt ist „Bodymore Murderland“ („Noch eine Leiche, Mordland“) — noch 2007 wurden hier 365 Menschen getötet.

Bald zog die Familie ins benachbarte Washington D.C. — die „Chocolate City“, wie die Hauptstadt der USA auch bezeichnet wurde, weil mehr als die Hälfte der Bewohner „Schwarze“ waren. Diese lebten im Ostteil und die „Weißen“ im Westteil der Stadt. Obwohl die Sklaverei 1865 abgeschafft worden war, erlebte Skip als Kind „Apartheid“, in der Afroamerikaner „von der Wiege bis zur Bahre“ getrennt von dem übrigen Teil der Bevölkerung lebten. In für sie vorgesehenen Schulen, Restaurants, öffentlichen Toiletten, Bussen und Bahnen hatten sie sich aufzuhalten und wer dagegen verstieß — das konnte schon ein unerwünschter Besuch in einem öffentlichen Park sein — musste mit (willkürlicher) Bestrafung rechnen. Der offizielle Slogan der Politik lautete: „Separat but equal“ („Getrennt, aber gleich“), doch in Wirklichkeit herrschten die „Weißen“. Pogromartige Überfälle, Misshandlungen, Hinrichtungen, Lynchmorde an „Negern“ durch den „weißen Mob“, durch Organisationen wie den Ku-Klux-Klan oder die „weiße Polizei“, die oft rücksichtlos von der Schusswaffe Gebrauch machte, bestimmten das Leben der Afroamerikaner — und somit auch Skips Kindheit und Jugend.

Skips Vater arbeitete im Pentagon in der Statistikabteilung der Navy, seine Mutter war Hausfrau und betätigte sich in vielen verschiedenen Jobs, wie beispielsweise als Arbeiterin in einer Munitionsfabrik, als Schulbusfahrerin, zeitweise passte sie auf die Kinder aus der Nachbarschaft auf — und sie versuchte sich als Keramikerin mit eigenem Design. Aufgrund der Tätigkeit des Vaters bei der Regierung gehörte die Familie zur Mittelschicht, und es gab Kontakt zu den „Weißen“ — die Familie hatte den ersten Schritt aus dem Ghetto der Apartheit gemacht. Dementsprechend streng verlief Skips Erziehung und die seiner drei Brüder — für sie galt „Anpassung an die Realität“. In seinen „Autobiografischen Erläuterungen“ zur Bewerbung an der Deutschen Film– und Fernsehakademie (dffb) schrieb er lapidar: „Meine Kindheit verbrachte ich in den Straßen von Washington, meine Ausbildung verlief in der üblichen Weise: Volksschule, Mittelschule und Oberschule, die ich mit einer dem Abitur entsprechenden Prüfung abschloss.“

Skip Norman studierte Germanistik und kam 1961 nach Göttingen. Dort entdeckte er in der Dramaturgischen Abteilung des Seminars für Deutsche Philologie seine Liebe zum Theater. Die Arbeit als Darsteller, Regieassistent, Bühnenbildner, Tontechniker und Inspizient im Studententheater öffnete ihm „das Tor zum großen Theater“, 1964/65 spielte er am Deutschen und Jungen Theater in Göttingen in verschiedenen Stücken, unter anderem mit Bruno Ganz in einer Inszenierung von Heinz Hilpert. „Im Film steckt ein Ausdrucksmittel, das im Theater kaum zu verwirklichen ist“, schrieb er 1966 in seiner Bewerbung.

Am 17. September 1966 saß Skip — im dunklen Anzug und mit Fliege — stolz im großen Sendesaal des Sender Freies Berlin (SFB). Ich kam erst vier Wochen nach der Eröffnung an die dffb und lernte Skip in der Regieklasse von Peter Lilienthal kennen. Im ersten Studienjahr drehte jeder einen 16-mm-Kurzfilm in Schwarz-Weiß. Erstmals arbeiteten wir zusammen bei dem Film SUBJEKTITÜDE (1966/67) von Helke Sander. Ich als Kameramann, Skip als mein Assistent.

Es war ein kalter Tag im Dezember 1967, Helke Sander drehte ihren ersten Film. Drehort: eine Bushaltestelle am Innsbrucker Platz in Berlin-Schöneberg. Wir drehten Blickwechsel zwischen zwei Männern und einer Frau. Die Handlung ist schnell zusammengefasst: Die Männer signalisieren: Ich begehre Dich! Sie ist verwirrt, blickt zurück — mal zu dem einen, dann zu dem anderen. Die Männer taxieren sich. Dann steigt einer der Männer in den Bus und fährt davon. Seine Abfahrt drehten wir mehrmals. Sein irritierter Blick auf die Frau aus dem abfahrenden Bus, dann die Blicke der Frau auf den Mann im davonfahrenden Bus. Zum Glück hatten wir die Unterstützung der BVG. Der Bus fuhr an und stoppte nach fünf Metern. Wir konnten aussteigen und den nächsten Versuch mit dem nächsten Bus drehen. Die Hauptdarstellerin war eine attraktive Schwedin. Wir dachten alle in Konzepten — in Blicken.

1978 schrieb der Filmkritiker Kraft Wetzel über den Film: „Die vierminütige SUBJEKTITÜDE ist ein in Maßen komisches Katz- und Maus-Spiel ausschließlich in subjektiven Einstellungen und inneren Monologen: Zwei Männer sind an einer Bushaltestelle mit abschätzenden Blicken und taktischen Gehmanövern dabei, eine Frau anzumachen, die deren Vorbereitungen trocken kommentiert."

RIFFI (1966) heißt Skips erster Film. Leider ist derzeit keine Kopie von dem Film verfügbar. Skip machte in dem Film ein ungewöhnliches Experiment, das er mit Holger Meins entwickelt hatte. Holger organisierte für Skip den ganzen Film — ich war der Kameraassistent.



Dieses Interview wurde uns von Gerd Conradt zur Verfügung gestellt.
Es erschien ebenfalls auf der dffb-Archiv-Seite der Deutschen Kinemathek.
( https://dffb-archiv.de/editorial/black-and-white-unite-unite-0 )

Anzahl aller Bilder: 6

Skip Norman im Gespräch mit Gerd Conradt,
Nordzypern 2002
© Gerd Conradt, MandalaVision Berlin.