Marianne Lüdcke †

Marianne Lüdcke †
1971
Marianne
Lüdcke †
Statt einer Vita: die Trauerrede für Marianne Lüdcke
von Hans Helmut Prinzler auf dem Friedhof in Berlin-Mariendorf, 16. Juni 1999


Lieber Max, liebe Freunde von Marianne, liebe Trauergäste,

wenn wir heute von Marianne Abschied nehmen, erinnert sich jeder auf persönliche Weise an sie. Wie er sie erlebt, wie er mit ihr gearbeitet hat, wie er mit ihr geredet, vielleicht auch gestritten hat.

Ich erinnere mich an eines der intensivsten und entspanntesten Gespräche mit Marianne vor zehn Jahren, aus traurigem Anlaß, beginnend im Literaturhaus, fortgesetzt in der Parisbar. Wir saßen in kleiner Runde nach der Beerdigung von Heinz Rathsack zusammen. Sein Tod machte noch einmal die Vergangenheit lebendig, aber er sensibilisierte uns auch für die Gegenwart. Von Marianne ging an diesem Tag eine heitere Traurigkeit aus, eine fast magische Energie. Das werde ich nicht vergessen.

Marianne war Filmemacherin. Sie hat ihren Beruf geliebt, jedenfalls im Grundsatz. So erinnere ich an die Filme, die sie uns hinterläßt.

ACH, VIOLA, ein Film von Rainer Boldt, erzählt die Geschichte einer jungen Frau in Westberlin, die früh aufsteht, um mit Freunden als politischen Akt einen Polizeiwagen in die Luft zu sprengen. Im Verlauf des Morgens denkt sie – in Rückblenden – an vergangene Situationen: ihren Arbeitsplatz, die Abendschule, den Freund, die Genossen. Die Sprengung des Polizeiwagens wird zu einem Akt der Selbstbefreiung.

Marianne spielte die Titelrolle. Der Film war ungewöhnlich, weil er politisches Handeln als Affekt darstellte. Das war nicht auf der Höhe der damaligen Klassenstandpunkte, wie sie in der DFFB diskutiert wurden. Marianne hatte als Viola eine starke physische Präsenz. Sie mußte sich die Rolle erspielen, die dargestellten Affekte hatten nur bedingt etwas mit ihr zu tun. Aber sie war damals Schauspielerin, stolz darauf, zur Berliner Schaubühne zu gehören.

1971, als ACH, VIOLA an der Akademie entstand, bewarb sich Marianne um einen Studienplatz. Sie hat, wenn ich mich recht erinnere, die Aufnahmeprüfung als Pflichtübung absolviert. Sie gehörte schon im Vorfeld zur Akademie. Dann wurde sie offiziell Studentin. Sie ließ sich nicht in die politischen Graben- und Gruppenkämpfe der damaligen Filmakademie verstricken. Sie hatte Willensstärke und Realitätssinn – und ein Ziel: Filme für Zuschauer zu machen, realistische Filme und insofern politische Filme, die sich mit den Erfahrungen des Publikums verbinden ließen.

Sie hatte sich an der Akademie mit Ingo Kratisch zusammengetan. Es entstand – nach dem gemeinsamen Übungsfilm AKKORD – als Abschlussproduktion DIE WOLLANDS, ein Film aus der Arbeitswelt, in dem auch privates Leben stattfand. Das sollte ihn etwa von Christian Ziewers LIEBE MUTTER, MIR GEHT ES GUT unterscheiden. Eingeordnet wurden diese Filme unter dem Label »Berliner Schule«. Marianne mochte den Begriff nicht sonderlich. Er war ihr zu pädagogisch, zu nachträglich.

DIE WOLLANDS gewannen einen Preis beim Mannheimer Filmfestival, und es meldete sich das Fernsehen, genauer: der WDR. Es entstanden LOHN UND LIEBE, FAMILIENGLÜCK, DIE TANNERHÜTTE. Als Produzentin trat Regina Ziegler auf den Plan. Auftraggeber war jeweils der WDR. Die Auswertung im Kino blieb ein Nebenschauplatz. Mariannes Zusammenarbeit mit Ingo Kratisch dauerte bis 1976. Es war – so habe ich das als Beobachter empfunden – eine sehr konstruktive Beziehung.

Ihr erster Film allein wurde zu einer großen Herausforderung: DIE GROSSE FLATTER, drei Teile, nach dem Roman von Leonie Ossowski. In einem Gespräch beschrieb Marianne ihre neue Situation: »Wenn du allein arbeitest, vermißt du das Vertrauensverhältnis, die Gespräche am Abend, die gemeinsamen Analysen. In schwachen Situationen, die du allein bewältigt hast, bist du aber auch wieder unheimlich froh. Und wenn der Film jetzt fertig ist, kannst du sagen: Gut, das habe ich gemacht. Ich kann nichts abschieben auf irgendwen. Ich weiß, wo die Schwächen sind, aber ich kann sie nicht mehr auf irgendwelche Kompromißsituationen zurückführen. Ich kann mich nicht selbst betrügen. Was nicht gelungen ist, habe ich nicht gekonnt. Das finde ich positiv. Aber eine so lange Strecke macht auch einsam.«

Aus dem Gespräch stammt auch der Satz »Man muß im Film die Menschen wie seine Freunde behandeln.«

DIE GROSSE FLATTER wurde zu Mariannes populärstem Film. Näher stehen mir persönlich FLÜCHTIGE BEKANNTSCHAFTEN und LIEBE IST KEIN ARGUMENT, weil das Melodramatische und scheinbar Triviale hier besonders radikal mit Mariannes Realismus konfrontiert ist. Vielleicht aber auch, weil ich die Schauspielerinnen in diesen beiden Filmen so bewundere.

Marianne mochte nicht mit Laiendarstellern arbeiten. Von Anbeginn waren ihr professionelle Schauspieler unabdingbar, möglichst die besten, die sie bekommen konnte. Ich nenne nur Günter Lamprecht, Tilo Prückner, Gottfried John, Grischa Huber, Angelica Domröse, Erika Pluhar, Hanna Schygulla, Elisabeth Trissenaar. Und: Max Volkert Martens. Daraus entstand eine private Lebensbindung. In fast jeder Kritik wird Marianne im Übrigen die hervorragende Schauspielerführung bescheinigt.

Sie hatte eine besondere Affinität zu Büchern von Leonie Ossowski und Dieter Wellershoff. Als Drehbuchautorin nahm sie sich gegenüber den literarischen Vorlagen ihre Freiheiten heraus. Das hat wohl auch zu Konflikten geführt – aber den Filmen einen eigenen Wert gegeben.

Sie hat Auszeichnungen bekommen von Anfang an. Film des Monats, Fernsehspiel des Monats, Berliner Kritikerpreis, Adolf-Grimme-Preis. Von der Kritik wurde sie respektiert. Das war und ist schon viel in Deutschland.

Man kann die Filme von Marianne nicht auf eine Botschaft reduzieren. Jeder hat einen realen Kern, eine gesellschaftliche Verankerung. Es geht immer um Menschen, die sozial definiert sind, um ihre Erfahrungen, Konflikte und Hoffnungen. Mit den Jahren wurden die Filme härter, skeptischer und konsequenter. Im Buch und in den Bildern.

Das Serielle, die Versorgung fortlaufender Sendezeit blieb Marianne fremd. Auch die beiden Arbeiten für den Tatort und Peter Strohm waren für sie Einzelstücke mit eigener Handschrift. Sie neigte nicht zu Kompromissen bei der Wahl der Projekte und Stoffe, jedenfalls nicht um den Preis ihrer Identifikation. Das hat zu langen Produktionspausen vor allem in den neunziger Jahren geführt.

Wenn man Marianne traf, hat sie dennoch nicht geklagt. Nur eine Situation konstatiert. Sie behielt das Glitzern in den Augen, sie wartete ab. Sie unterrichtete an den Filmschulen in Berlin und Ludwigsburg.

Die politische Landschaft und der Zustand des Fernsehens haben sich in den vergangenen 28 Jahren, die wir uns kannten, seit ihrer Rolle als Viola, sehr verändert. Die Konflikte haben andere Formen angenommen. Die Leidenschaft, mit der sie ihre Ziele verfolgte, fand kaum noch ein Echo in den Programmverwaltungen. Aber bitte: keine sentimentalen Rückblenden, keine falschen Affekte. Das mochte sie nicht.

Es gibt von Marianne 13 Filme. Das sind auf die Zeit gerechnet nicht viele. Aber jeder hat einen spezifischen Charakter, eine Bedeutung und vor allem eine Würde. Das bleibt – immer verbunden mit dem Menschen Marianne – in unserer Erinnerung.
1998, Mein großer Freund, Regie

1994/1995, Kids, Regie

1990/1991, Tödliche Vergangenheit, Regie und Drehbuch

1988, Der schöne Mann, Regie und Drehbuch

1985/1986, Pattbergs Erbe, Regie und Drehbuch

1984, Die Abschiebung, , Regie und Drehbuch

1982-1984, Liebe ist kein Argument, Regie und Drehbuch

1981/1982, Flüchtige Bekanntschaften, Regie und Buchadaption

1981, Polnischer Sommer, Darstellerin

1978/1979, Die große Flatter, Regie und Drehbuch

1976, Die Tannerhütte, Regie und Kamera (mit Ingo Kratisch)

1975, Familienglück, Regie und Drehbuch (mit Ingo Kratisch)

1973/1974, Lohn und Liebe, Regie, Drehbuch und Kamera (mit Ingo Kratisch)

1972, Die Wollands, Regie und Drehbuch (mit Ingo Kratisch, Johannes Mayer)

1971/1972, Ach Viola, Darstellerin

1971/1972, Liebe Mutter, mir geht es gut, Darstellerin

1971, Akkord, Regie und Drehbuch (mit Ingo Kratisch)

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